Der Dummy war fix und fertig!
Am 30. März 2022 fand der 20. Runde Tisch Zimmerer nach etlichen Videokonferenzen endlich wieder als Präsenz-Veranstaltung statt. 2016 hatte der 1. Runde Tisch auf Einladung von Holzbau Deutschland - Verband Hessischer Zimmermeister im Bundesbildungszentrum stattgefunden. Beim 20. Mal kehrte er an diesen Ort zurück. Auf dass von dieser markanten Zahl ein starkes Signal für die Zimmerer-Welt ausgehe, hatte das Team von Holzbau Deutschland - Verband Hessischer Zimmermeister und vom Bundesbildungszentrum mit Hilfe vieler Unterstützer einiges vorbereitet. Nach der Besprechungsrunde am Vormittag ging es ins Freigelände.
Dort war ein dreistöckiges Gerüst aufgebaut worden, an und auf dem Versuche mit verschiedenen Sicherungseinrichtungen durchgeführt wurden. Das Gerüst wird dem Bubiza von PERI für Ausbildung und Meisterkurse zur Verfügung gestellt. Ein Kran mit Personensicherungsmodus der Firma Klaas war aufgebaut. Mit ihm konnte die Personensicherung am Kran demonstriert werden. Dabei wird am Kranhaken und zusätzlich an der Kranflasche ein Höhensicherungsgerät (HSG) angeschlagen. HSGs funktionieren wie der Automatikgurt im Auto: Sie gewähren der gesicherten Person durch ein ausziehbares Band oder Drahtseil Bewegungsfreiheit. Im Falle einer ruckartigen Bewegung wie bei einem Sturz wird der Fall durch die Fliehkraftbremse aufgefangen. Durch den Kran kann das HSG optimal über der zu sichernden Person positioniert werden. Die Fallstrecke bis zur Abbremsung wird dadurch so gering wie möglich gehalten. Da es über uns Zimmerleuten oft nur noch den Himmel und nichts zum Anschlagen gibt, ist der Kran eine gute Sicherungsmöglichkeit für Tätigkeiten, bei denen andere Sicherungsarten weniger geeignet sind. Sollte es tatsächlich zu einem Sturz kommen, kann die aufgefangene Person in kürzester Zeit auf den Boden abgelassen werden. Dies konnte eindrucksvoll mit dem HSG und dem Dummy von Firma IKAR demonstriert werden. Die kurze Fallstrecke war erstaunlich: Der Dummy stand noch mit einem Fuß auf der Pfette! Der Alu-Anhängerkran von Klaas spielte auch bei allen weiteren Versuchen eine wichtige Rolle: Mit ihm wurde der Dummy an die jeweils geplante Absturzposition gehievt.
Bei den nächsten Versuchen wurden verschiedene Systeme kombiniert. Keine der Anwendungen ist von den Herstellern der Komponnenten oder der BG BAU freigegeben! Es ging einfach darum, durch Experimente klüger zu werden. Kann durch die Kombination von zwei verschiedenen Systemen eine neue, vorteilhafte Anwendung entstehen?
Bild 5 zeigt das seit Jahren bewährte, temporäre Lifeline-System HAL von IKAR, das in diesem Fall zwischen zwei gegenüberliegenden Gerüstseiten horizontal gespannt wurde. Neu war, dass als Anschlageinrichtung ein Schienensystem von ST-Quadrat verwendet wurde, das eigentlich als dauerhafte Anschlageinrichtung für Wartungsarbeiten an Gebäuden zum Einsatz kommt. Idee hinter diesem Versuch war die Vergrößerung des Bewegungsspielraums der gesicherten Person und die Verteilung der bei einem Sturz auftretenden Kräfte auf insgesamt vier Gerüstrahmen. Hierbei zeigte sich, dass das für einen solchen Einsatz unter Vorspannung gar nicht vorgesehene System noch optimiert werden kann. Wir danken der Firma ST-Quadrat, dass sie sich auf diesen Versuch eingelassen hat, auch wenn das Schienensystem in diesem Fall seine Stärken nicht ausspielen konnte. Das Aufffangen nach dem Sturz funktionierte trotzdem hervorrragend. Die Fallhöhe war nur geringfügig größer als beim Anschlagen am Kran. Bei Lifeline-Systemen ist die Rettung inklusive: Die abgestürzte Person kann ganz einfach ohne weitere Rettungseinrichtungen zum Boden abgelassen werden.
Anschließend wurde das Lifeline-System direkt von Gerüstrahmen zu Gerüstrahmen gespannt (Bild 6). Die Teilnehmenden waren ebenfalls gespannt: Wie stark würde sich das Gerüst durch die aus dem Sturz resultierenden Zugkräfte verformen? Das Team des Bubiza hatte außen am Gerüst eine zusätzliche Verstrebung angebracht. Diese wurde von den teilnehmenden Experten allerdings als überflüssig erachtet und die Schrauben vor dem Sturzversuch gelockert. Trotzdem ergab sich nur eine minimale Verdrehung ohne Beschädigung des Gerüsts. Selbst wenn sich die Gerüstrahmen verformt hätten: Lieber zwei Gerüstrahmen ersetzen, als dass ein Mensch ungesichert auf den Boden knallt!
Weil das Lifeline-System sich gut bewährt hat, wird die Anschaffung von der BG BAU gefördert: Arbeitsschutzprämien
Bild 7 zeigt den Dummy bei der Rettung nach dem Sturz in zwei horizontal zwischen den Schienen von ST-Quadrat angebrachten HSGs. Ziel des Versuchs war die Vergrößerung des Bewegungsbereichs und die Vermeidung eines Pendelsturzes. Hätte sich die Person bei dieser Tätigkeit auf der Firstpfette nur mit einem HSG gesichert, würde sie nach dem Sturz gegen das Gerüst pendeln. Schwere Verletzungen wären die Folge. Es reicht nicht, sich irgendwie anzuschlagen. Die Folgen eines Sturzes müssen immer vorher bedacht werden. Der Pendelsturz wurde bei diesem Versuch zwar vermieden, allerdings wäre die Rettung schwieriger, da die gestürzte Person nicht so leicht zu ereichen ist. Die Lifeline war für diese Situation eindeutig besser geeignet.
Beim nächsten Versuch wurden die Anschlageinrichtungen Pick PSA (Bild 8) von Firma SIHGA eingesetzt. Auch hierbei war die Versuchsanordnung nicht vom Hersteller freigegeben. Die Firma hat die Sicherungsmethode Pick Engel für Arbeitsplätze mit geringeren Absturzhöhen entwickelt wie zum Beispiel auf der Ladung Holzhauswände. Der Pick wurde ursprünglich als ein Lastaufnahmemittel für Wände und Brettsperrholzelemente entwickelt. In Bohrungen von 50 mm Durchmesser wird der Pick eingesetzt. Beim Anheben der Last spreizt er sich in der Bohrung und erlaubt die einfache Montage ohne Beschädigung der Sichtseite von Deckenelementen. Später kam die Idee dazu, die für die Hebevorgänge eingebrachten Bohrungen als Anschlageinrichtung für die PSAgA zu verwenden. Dafür wurde aus dem Pick der Pick PSA entwickelt. Er funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie der Pick, wird aber mit einer zusätzlichen Schraube gegen versehentliches Lösen gesichert. Da die Firstpfette noch für unsere geplante Grillhütte benötigt wird, wollten wir keine Bohrungen in sie einbringen und brachten seitlich Beihölzer an. Das System funktionierte, der Pendelsturz wurde verhindert. Da sich der Dummy aber in einer größeren Höhe befand, als vom Hersteller in der geprüften Anwendung vorgesehen, wäre in diesem Fall die Rettung schwieriger geworden.
In einer Abwandlung des Versuchs wurde die Lifeline an die Pick PSA angeschlagen. Dadurch wird aber der Sturzfaktor ungünstiger! Ist die PSAgA optimal oberhalb der zu sichernden Person angeschlagen, spricht man von Sturzfaktor 0. Die Fallhöhe bis zur Abbremsung ist in diesem Fall am kleinsten. Befindet sich die Anschlageinrichtung auf Höhe der Anschlagöse am Gurt, liegt Sturzfaktor 1 vor. Die Fallhöhe vergrößert sich. Am ungünstigsten ist das Anschlagen auf Höhe der Standfläche. Das wäre Sturzfaktor 2 mit der größten Fallhöhe und folglich einem größeren erforderlichen Freiraum unter der zu sichernden Person. Die Versuchsanordnung hatte demnach Sturzfaktor 2. Die Fallhöhe war sehr groß. Dadurch sind auch die auf eine gestürzte Person wirkenden Kräfte sehr groß. Die Rettung wäre einfach gewesen, da das Ablassen über die Lifeline erfolgen kann.
Für den letzten Versuch hatte der Obermeister der Zimmerer-Innung Ansbach-Westmittelfranken Hermann Lauchs eine Auffangeinrichtung mitgebracht, die in Deutschland bisher kaum bekannt ist: Luftsäcke - Soft Landing Systems (SLS). Der Bayerische Landesinnungsverband ist bei dieser Sicherungsart Vorreiter und hat bereits mehrere Überbetriebliche Ausbildungsstätten damit ausgestattet. Das System ist für Absturzhöhen von 0 bis 3,70 m, bei zweilagiger Anordnung sogar bis 4,40 m geeignet. Das sind Höhen, in denen Netze oft nicht verwendet werden können, weil sie zu dicht über dem Boden wären. Aus einer Höhe von 3 m über diesen Säcken wurde der Dummy ohne PSAgA abgeworfen. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen sind die SLS höher einzustufen als PSAgA. Eine PSAgA können die Mitarbeitenden richtig anlegen - oder auch nicht. Sind unter den zu sichernden Personen SLS ausgelegt, fallen sie bei einem Sturz hinein, ob sie wollen oder nicht. Damit zählen die SLS zu den sogenannten "kollektiven Maßnahmen". Die Landung des Dummy war heftig (Bild 10), aber weitaus besser, als eine Landung auf Beton.
Holzbau Deutschland - Verband Hessischer Zimmermeister und das Bundesbildungszentrum danken noch einmal herzlich allen Teilnehmenden und ganz besonders allen Unterstützern, ohne die dieser ereignis- und erkenntnisreiche Runde Tisch nicht möglich gewesen wäre.
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