Bitte nachmachen!

Gero Müller, Patrick Schötz, Micha Marterer von der Limburg-Weilburger Zimmerer-Innung und Paul Pfeiffer von Firma IKAR in Fulda.

Im Theorie-Teil ging es um die verschiedenen Sicherungssysteme, rechtliche Grundlagen und typische Anwendungsfälle im Zimmererhandwerk.

Anprobe: Welcher Gurt passt am besten zu mir und meinen typischen Tätigkeiten. Bei Sicherung mit PSAgA muss ein Industrie-Helm mit 4-Punkt-Kinnriemen getragen werden. Ein einfacher Helm würde bei einem Sturz verloren. Die abstürzende Person könnte durch Anstoßen mit dem Kopf das Bewusstsein verlieren. Dann wird die Rettung schwieriger.

Das 8 m hohe Übungsgerüst war optimal aufgebaut, um die Rettung nach einem Sturz zu üben. Die "abgestürzte" Person hing doppelt gesichert in etwa 6 m Höhe und musste von einem Kollegen gerettet werden.

Der "Retter" kann seinen "in den Seilen hängenden" Kollegen ganz einfach mit der in die Lifeline integrierten Ablassvorrichtung zum Boden ablassen.

Hier ein Anwendungsbeispiel von Fa. Müller Holzbau aus Hünfelden-Dauborn: Im Limburger Dom konnte sich ein Zimmerer bei seiner Arbeit oberhalb eines Gewölbes an einer Lifeline sichern.

Zimmerer-Innung Limburg-Weilburg organisierte mit Holzbau Deutschland - VHZ und BG BAU Schulung zur Absturzprävention.

Seit 2022 bietet der Verband seinen Mitgliedsbetrieben Schulungen in der Anwendung der Persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) an den Standorten Kassel und Fulda an. Neben der Vermittlung theoretischer und rechtlicher Grundlagen werden dabei praktische Übungen zur Rettung nach einem Sturz durchgeführt. Ohne ein Rettungskonzept und die praktisch geübte Rettung darf PSAgA gar nicht eingesetzt werden.

Die Zimmerer-Innung Limburg-Weilburg organisierte deshalb Anfang März 2023 mit Unterstützung der BG BAU und Holzbau Deutschland - VHZ eine zweitägige Schulung im Ausbildungszentrum der Bau- Innung in Limburg. Am ersten Tag wurde durch Aufsichtspersonen der BG BAU grundlegendes Wis­sen zu Arbeits- und Schutzgerüsten in Theo­rie und Praxis vermittelt. Dabei wurde die Inaugenscheinnahme von Ge­­rüs­ten vor der Nutzung geübt. Dazu gehört die Kontrolle der Eig­nung des Gerüsts für die auszuführenden Tätig­keiten und die Prüfung der Wirksamkeit von Sicherheitsein­rich­tungen.

Am zweiten Tag stand die PSAgA im Mittelpunkt. Anwendungstechniker Paul Pfeiffer von Firma IKAR erklärte die Vorschriften zur Verwendung von PSAgA, verschiedene Systeme, Anschlagpunkte und Sicherungsarten. An­schließend zeigte Elmar Mette vom Verband typische Baustellensituationen und mögliche Sicherungsarten. Nachmittags wurden verschiedene Auffanggurte getestet und Hängeversuche durchgeführt. Dann wurde es ernst: In 8 m Höhe war am Gerüst eine Lifeline gespannt. Daran war ein Höhensicherungsgerät (HSG) an­geschla­gen. Diese funktionieren wie Automatikgurte im Auto und bieten große Bewegungsfreiheit. Beim simulierten Sturz hing die abgestürzte Person dann in 6 m Höhe „in den Seilen“. Mit der in die Lifeline integrierten Ablassvorrichtung konnte die Rettung sofort eingeleitet werden. Das ist ein entscheidender Vorteil von Lifelines gegenüber anderen Systemen wie di­rekt angeschlagenen HSGs oder mitlaufenden Sicherungsgeräten. Es könnte sein, dass die abgestürzte Person vielleicht durch einen Pendelsturz verletzt ist und vor Schmerzen schreit. Wenn in der Aufregung dann erst noch Hilfsmittel für die Rettung aus dem LKW geholt werden müssen, verrinnt wertvolle Zeit.

Hängt die abgestürzte Person in einem anderen Sicherungssytem als einer Lifeline, muss eine Rettungshubeinrichtung oberhalb von ihr angebracht werden. Damit wird sie so weit angehoben bis die Fliehkraftbremse des HSG oder die Klemme des mitlaufenden Sicherungsgeräts nicht mehr blockiert. Dann erfolgt der Ablassvorgang bis zum Boden. Lässt sich die Blockierung eines Sicherungsgeräts so nicht lösen, muss die Person nach dem Anheben vom primären Sicherungssystem gelöst und mit der Rettungshubeinrichtung abgelassen werden. Hängt die verunglückte Person so ungünstig, dass sie nicht erreichbar ist, muss sie von weiter oben mit Hilfe einer Klemme am Sicherungsseil oder am ausgezogenen Verbindungsmittel so weit angehoben werden bis der Karabiner am Anschlagpunkt entlastet ist und geöffnet werden kann. Bewusstlosigkeit der verunglückten Person kann die Rettung zusätzlich erschweren.

Die Schilderung dieser unterschiedlichen Szenarien sollte jedem klarmachen, dass die Aufforderung „Nehmt für alle Fälle mal die Gurte mit!“ nicht ausreicht, um PSAgA als Si­che­rungsmethode wirksam festzulegen. Ein Rettungskonzept für die konkrete Situation muss vorliegen und die Rettung nach einem Sturz muss vor dem ersten Einsatz geübt sein. Im Ernstfall muss jeder Griff sitzen, um die verunglückte Person so schnell wie möglich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Je nach Konstitu­tion kann es nämlich schon nach 10 -20 Minuten zum Hängetrauma mit ernsthaften ge­sund­heitlichen Folgen kommen.

Durch viele Unwägbarkeiten beim Einsatz von PSAgA ist sie nicht die beste Maßnahme gegen Absturz. Vielmehr sollen Verantwortliche nach dem S-T-O-P-Prinzip vor­gehen. Am wirksamsten sind Maßnahmen, die die Gefahr vermeiden. Durch Vorfertigung von Decken- und Dachelementen sowie die Montage mit mo­dernen Funkhaken oder automatisch lösbaren Lastaufnahmemitteln müssen ab­sturz­gefähr­de­te Be­rei­che nicht betreten werden. Ist der Auf­enthalt an Absturzkanten un­ver­meid­bar, sol­len technische Maßnahmen wie ein Seitenschutz bevorzugt werden. Damit kann ein Absturz zuverlässig verhindert werden.

Ist ein Seitenschutz nicht möglich, sollte das Verletzungsrisiko durch Auffangeinrichtungen (Fanggerüst oder Schutznetz) minimiert werden. Auch diese Sicherungen zählen zu den technischen oder kollektiven Maßnahmen. „Kollektiv“  weil sie abstürzende Personen sicher auffangen und Schlimmeres verhindern - auch wenn die das vorher für übertrieben hielten.

Beim Einsatz von PSAgA ist das anders. Hier hängt viel von der persönlichen Einstellung und der Unterweisung der Beschäftigten ab. Wird die PSAgA falsch oder gar nicht eingesetzt? Deshalb ist diese Schulung mit Rettungsübung so wichtig. Sie zeigt den Teilnehmenden Möglichkeiten, aber auch Grenzen des Einsatzes von PSAgA. Alle haben einmal geübt, wie eine abgestürzte Person schnell abgelassen werden kann und müssen im Ernstfall nicht erst in die Bedienungsanleitung schauen.

Liebe Zimmerleute: Bitte nachmachen!